Wer im Saarland ein Kanu sein Eigen nennt und nicht immer weite Fahrten zu den berühmten Kanuflüssen Ardèche, Dordogne, Semois zurücklegen will, hat auch hier eine kleine Auswahl an Strecken, die zwar weniger „reißend“ sind, dafür aber landschaftlich „reizendes“ zu bieten haben. Neben französischer Nied, Sauer, Glan, und die Blies stehen die „Obere Saar“ ganz oben in den Empfehlungen.
Doch kaum ist bekannt, dass auch die „Obere, obere Saar“, der gut 30 bis 35 Kilometer lange Abschnitt zwischen Sarrebourg und Harskirchen bei Sarre-Union, sich nicht verstecken muss. Denn hier schlängelt sich die Saar, scheinbar „naturbelassen“, durch das Tal. Vorbei an kleine Dörfchen, deren Einwohnerzahl vor 100 Jahren nicht höher war als heute. Lediglich die Wehre an den alten Mühlen könnten sich für eine Bootsfahrt als Problem erweisen.
Doch haben sich diese während einer ersten Erkundungsfahrt als relativ flach und gut überwindbar gezeigt.
Gute Planung ist das A und O eines jeden kleinen Abenteuers. Doch nicht alles ist vorhersehbar, denn von dieser Strecke sind keine Erfahrungsberichte bekannt. Die Saar schlägt hier große Bögen, im Wasser liegende Baumstämme könnten die Fahrt erschweren. Wo eine Überwindung bzw. ein Umtragen der Kanus nicht machbar, wird möglicherweise der Zeitplan zerstört oder man ganz zum Abbruch gezwungen…
Klar war nur eins, die Saar kannte einst eine große Betriebsamkeit. Vor der Industrialisierung flößte man auf ihr in den Vogesen geschlagene Baumstämme bis nach Holland. Ihr Wasser trieb zahlreiche, meist heute verlassende Mühlen an. Dort wo es die Natur einrichtete und ein entsprechendes Gefälle vorsah, baute man Wassermühlen, eine Getreide-, Öl-, Gerb- oder Sägemühle. Wasser musste reguliert werden, was uns heute, selbst im regenarmen Sommer 2018 den Einsatz von Kanus erlaubte.
Kurzum, „wer nicht wagt der nicht gewinnt“. Nachdem sich Sarrebourg für uns als Tourbeginn ungeeignet erwies, starteten wir im nahe gelegenen Sarrealtroff und verbrachten im August 2019 vier Tage auf dem Fluss, nach dem sich unzählige Ortschaften und ein ganzes Bundesland benennen.
Unweit von der „Sarraltroff-Mühle“ in der Rue de la Sarre konnten wir unser Kanu (auf der ersten Etappe waren wir zu zweit) bequem zu Wasser lassen. „Bequem“, weil ein Landwirt freundlicherweise keine Kühe hat auf der Weide stehen und wir problemlos bis ans Ufer fuhren.
Voller Optimismus ging es los. Doch erwiesen sich die etwa 2,5 Kilometer bis zur Schneymühle länger als gedacht. Zahlreiche Baumstämme versperrten die Saar und galt es zu überwinden. Aber solche „Abwechslungen“ begleiteten uns die ganze Strecke bis nach Wolfskirchen, wo erst die einfließende Isch für genügend Wasser und Breite sorgt und uns Baumstämme nur noch selten in die Quere kamen.
Insgesamt machen die meisten Mühlen einen etwas traurigen - weil ungenutzten - Eindruck. Kein „verrückter Künstler“ keine „Kulturfabrik“, die diesen alten Gebäuden neues Leben einhaucht. Die Schneymühle ist so ein Fall. Hier klafft ein großes Loch in dem alten Wehr, das von Pflanzen immer mehr überwuchert wird. Wenigstens deuten die Satellitenschüsseln darauf hin, dass hier gewohnt wird und erst einmal ein rapider Verfall nicht zu erwarten ist.
Etwa 1 km weiter passieren wir das Château Saareck (nicht zu verwechseln mit dem namensgleichen Schloss in Mettlach!), dessen Geschichte bis ins 13. Jahrhundert zurückgeht. Zwischen 1870 bis 1918 diente sie den Deutschen Truppen als Kaserne.
Obwohl die Burg im Laufe der Jahrhunderte starke Zerstörungen und Umbauten erlebte, hat sie – Dank mehrerer Türme - immer noch ihren mittelalterlichen Charakter erhalten. Der Gebäudekomplex befindet sich heute in privater Hand, weshalb eine Besichtigung nicht möglich ist. Doch mit dem Kanu kommt man sehr nah – und zwar von der „Schokoladenseite“ - heran und darf sich über die tolle Wasserqualität freuen.
Keine 500 Meter muss an der Moulin Saareck das erste, noch erhaltene Wehr überquert werden. Die entsprechenden Neoprenschuhe, ohne die eine solche Unternehmung wenig Sinn hat, sorgen für die nötige Trittsicherheit.
Nach weiteren 3 km passieren wir Gosselming, wo es sogar noch eine alte Synagoge geben soll, die sich allerdings erbärmlichen baulichen Zustand befindet.
Am Ortsende ist eine der ältesten Mühlen an der Saar für Anfang des 13. Jahrhunderts belegt. Der Mühlengraben ist zugewuchert, das Wehr abgebaut.
Wir mussten wegen der geringen Tiefe so nah ans Ufer, was einen imposanten Wachhund alarmierte. Doch seine Besitzer hielten ihn gerade noch von einem amphibischen Angriff auf uns ab.
Nach 2,5 Kilometer, die wir stellenweise nah der Eisenbahn entlang paddeln, erreichen wir Berthelming. Auch hier ließ sich das Wehr leicht überwinden.
Rund einen Kilometer weiter – inzwischen bereits später Abend - wurde es Zeit einen geeigneten Übernachtungsplatz zu finden.
Die Böschung erwies sich an dieser Stelle als so steil, dass wir das Boot lieber gut angebunden im Wasser ließen.
Nach einem kräftigen Frühstück und einem weiteren Kilometer empfing uns Romelfing mit Mühle und intaktem Wehr.
Wenn wir uns nun gut in die Riemen legen und nichts dazwischen kommt, sind wir zur Mittagszeit in Fénétrange, wo es sicher eine Gelegenheit zum Mittagessen gibt.
Tatsächlich legten wir gegen 12 Uhr vor der Brücke in Fénétrange an. Und ein Besuch dieses alten Städtchens lohnt immer.
Vor einem halben Jahrhundert entdeckte der saarländische Schriftsteller Ludwig Harig (1927-2018) seine Liebe zu Fénétrange. Nicht alleine der mittelalterliche Eindruck dieses Fleckens tat es Harig an, sondern die Spuren des Barockdichters Johann Michael Moscherosch (1601-1669), die dieser während des Dreißigjährigen Kriegs als Amtmann von „Finstingen“ hinterließ, interessierten Harig.
Im „Das ABC von Fénétrange“ schrieb Harig: „Dort liegt Fénétrange, das alte Finstingen des Dichters, der das Alphabet ausgestreut hat, aus dem sich auch die Worte und Sätze dieser Stadt zusammensetzen lassen" und meinte damit Moscheroschs aufgeschriebene Geschehnisse in der schon damals tiefsten Provinz, allen voran die Erzählung „Unter Räubern“. Diese handelt über eine Bande desertierter Soldaten, die einen Krieg auf eigene Faust führen und Finstingen und andere Städte und Burgen überfallen, aber auch ihr Schlemmerleben in Saarbrücken genießen.
Am Place Albert Schweitzer in der Ortsmitte gibt eine Plakette Auskunft über den ehemaligen Amtssitz Moscheroschs. Gegenüber im „Restaurant aux Oubliettes“ nahmen wir preisgünstig ein Mittagsmenü ein.
In dem Gebäude (rechts) arbeitete als Amtmann der deutsche Barockschriftsteller Johann Michael Moscherosch (1601-69). Hier soll er auch von einer Räuberbande überfallen worden sein.
Nachmittags Abfahrt in Niederstinzel mit zwei Kanus. Bevor wir auf dem Weg nach Wolfskirchen (ca. 4 km) die Departementgrenze zum Krummen Elsass (l'Alsace bossue, Buckliges Elsass) überquerten, versperrten uns kurz hinter der Ruine Géroldseck ein Knäuel Baumstämme den Weg. An ein Weiterkommen auf dem Wasser war nicht zu denken. Trotz sehr steiler Hänge und dichten Hecken gelang es uns die Kanus umzutragen. Das war auch das einzige Mal auf der gesamten Strecke, wo dies nötig wurde.
Kaum drei Kilometer flussabwärts erreichten wir Niederstinzel.
Das knapp 250 Einwohner zählende Dörfchen entfaltet seinen Reiz erst richtig, wenn man sich ihm von der Saar her nähert und beim Picknick am Ufer hinaufblickt. Eine Idylle, die schon Ludwig Harig nicht entgangen war und die er in seinem Roman „Und wenn sie nicht gestorben sind“ so beschrieb:
„Im Saartal unterhalb des Dörfchens Niederstinzel schlugen wir einmal im Sommer unser Mittagslager auf. Stundenlang saßen wir auf unseren Klappstühlen um den Campingtisch herum, aßen frisches französisches Weißbrot und tranken algerischen Rotwein dazu, bevor wir den Rauch unserer Zigaretten genossen. Das klare Wasser spülte über Sumpfdotterblume und Entengrütze, wir streckten die Beine unter den Tisch und kosteten die Augenblicke reiner Natur wie ein spätes Weltgeschenk aus.“
Niederstinzel ist auch der Geburtsort von Georges Imbert (1884-1950). Imbert war in der Mitte des 20. Jahrhunderts ein weltberühmter Ingenieur, bekannt für den von ihm entwickelte Holzgasgenerator, in dem Holz verschwelte und mit dem so entstandenen Gas Benzinmotoren antreiben konnte. Einige seine Versuchsgeneratoren haben sich in Sarre-Union erhalten, wo sich einst sein Versuchslabor befand.
Weil sich hier das Kanu bequem aus dem Wasser holen ließ, beschlossen wir unsere erste Etappe hier nun zu beenden und uns dafür lieber noch die Ruine Géroldseck eingehend anzuschauen.
Etwa 800 Meter Fußweg von Niederstinzel taucht in den Saarwiesen die Ruine der einstigen Wasserburg auf. Einst floss Saarwasser in dessen Burggräben. Ihre Entstehung geht auf eine römische Anlage des 3. Jahrhunderts zurück und dürfte eine der ältesten Burganlagen in Lothringen sein. Nach einem Brand im 15. Jahrhundert wurde sie als Wohnburg aufgegeben und in der Folgezeit mal als Kirche, mal als militärischer Stützpunkt genutzt, zuletzt während des 30jährigen Krieges. Johann Michael Moscherosch verlieh er Ruine literarischem Ruhm, in dem er sie zu einem Schauplatz seines Räuber-Romans machte.
An der ehemaligen Schlumberger Mühle setzten wir die Kanus um.
Das unmittelbar an der Mühle beginnende Diedendorf, besitzt ein bemerkenswertes Renaissanceschlösschen das sich im Privatbesitz befindet. Doch wer es möglich machen kann – wir hatten natürlich dazu keine Zeit – sollte es zumindest von Außen besichtigen. Der Zutritt zum Burghof ist ganzjährig und kostenlos möglich.
Von den Strapazen des Kanutransports bei Géroldseck und der großen Hitze beschlossen wir schon auf halber Strecke zwischen Diedendorf und Bischtroff-sur- Sarre unser Lager aufzuschlagen. Wer weiß, ob wir weiter flussabwärts einen so passenden Übernachtungsort finden?
Nach dem Frühstück und völlig stressfrei, freuten wir uns auf die Ankunft im etwa 3 Kilometer entfernten Bischtroff. Hier beginnt nun ein Abschnitt, in dem nahezu keine Hindernisse im Wasser mehr zu erwarten sind, da die hier mündende Isch für die nötige Breite der Saar sorgt.
Das Wehr bei Bischtroff wird überwunden. Links sind die Gebäude der alten Getreidemühle zu erkennen.
Gemeinsam mit dem nur etwa 1,5 km entfernten Zollingen bildet Bischtroff und Sarrewerden eine Gemeinde, mit noch nicht einmal 900 Einwohnern.
Unter wachsamer Beobachtung geht es gemächlich auf der Saar weiter.
Nach nicht einmal 2 Kilometern erreichen wir Sarrewerden, das einmal im 12. Jh. eigene Grafen „von Sarrewerden“ hatte. Wie seine anderen Gemeindeteile, liegt es zwischen sanften Hügeln und bietet von oben einen wunderschönen Rundblick über einige der schönsten Landschaften der Gegend.
Hier lohnt nicht nur ein Ausstieg für ein Picknick oder weil hier wieder ein Wehr „die freie Fahrt“ versperrt. Das Dörfchen war einst im Besitz der Saarbrücker Fürsten, was noch heute im Baustil einiger Häuser zu erkennen ist, denn der unterscheidet sich von denen der Nachbardörfer. In der Dorfmitte hat man einen Entdeckungspfad mit Infotafeln angelegt, wo die wechselhafte Geschichte und die wirtschaftliche Entwicklung im 19. Jahrhundert erklärt werden. Auf diesem Weg erfahren wir, dass die hiesige Mühle einst als Gerbmühle arbeitete.
Sogar eine Kanufahrt soll hier möglich sein, verspricht das „Tourismusbüro des Krummen Elsass“.
Nur 1,5 Kilometer weiter und wir gelangen nach Sarre-Union. Mit etwa 3.000 Einwohnern ist sie die größte Gemeinde im Krummen Elsass. Sie entstand 1794 durch Vereinigung der beiden Städte Bockenheim und Neu-Saarwerden. Ihr Name ist also eine direkte Folge der Französischen Revolution.
Gegensatz zu den anderen Dörfchen im Krummen Elsass sind hier Restaurants, Bars oder jede Menge Lebensmittel oder Fachgeschäfte. Auch das Historische Rathaus (Hôtel de Ville) aus dem 17. Jahrhundert oder die Kapelle Saint-Louis des ehemaligen Jesuitenklosters aus dem 15. Jahrhundert lädt zum Rundgang in die Altstadt ein. Bis zum Zweiten Weltkrieg gab es hier eine große jüdische Gemeinde, was sich in der 1840 gebauten und glücklicherweise noch erhaltenen ehemaligen Synagoge zeigt.
Noch 3 Kilometer trennen uns vom Endpunkt unserer Tour: die Willer-Mühle in Harskirchen. Willer-Mühle ist eine der wenigen noch aktiven Getreidemühlen, die schon Anfang des 18. Jahrhunderts bestand.
Das im Gebrauch befindliche Walzwerk stammt aus den frühen 1920er Jahren und verarbeitet Getreide aus regionaler Herkunft für den regionalen Bedarf. Der heutige Besitzer Roger Roeser mahlt 170 bis 250 Tonnen Mehl pro Jahr.
Gegenüber betreibt Roeser eine Gaststätte. Leider war die „Auberge Roeser“ geschlossen, als wir dort ankamen. Doch für die Flammkuchen sollen Genießer weite Anreisewege in Kauf nehmen…